L 1 E 420/07 KG PKH Ablichtung
S 20 KG 11/06 SG Kiel .
SCHLESW1G-HOLSTEINISCHES LANDESSOZIALGERICHT
BESCHLUSS
ln dem Beschwerdeverfahren
- Kläger und Beschwerdeführer -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Raudszus, Gebhardt, Hamburger Straße 27,
24306 Plön, - 1186/05G01 ko -
gegen
Familienkasse Hamburg Stützpunktfamilienkasse, Kurt-Schumacher-Allee 16, 20097 Hamburg, - F01 - K 23/06
- Beklagte und Beschwerdegegnerin -
hat der 1. Senat des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts am 5. Juni 2007 in Schleswig ohne mündliche Verhandlung durch
den Präsidenten des Landessozialgerichts Dr. Stoll, die Richterin am Landessozialgericht Brandt, die Richterin am Landessozialgericht Daumann, beschlossen:
Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 15. März 2007 aufgehoben und dem Kläger Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Gebhardt bewilligt.
Gründe
Die Beteiligten streiten im Hauptsacheverfahren um die Gewährung von Kinderzuschlag nach § 6a Bundeskindergeldgesetz (BKGG).
Der 19.. geborene Kläger lebt mit seinen 1996 und 1998 geborenen Kindern in häuslicher Gemeinschaft. Er bezieht eine Rente der Landwirtschaftlichen Alterskasse in Höhe von 546,33 EUR sowie eine Altersrente der gesetzlichen. Rentenversicherung in Höhe von 133,08 EUR. Zudem erhält er Kindergeld in Höhe von 308,00 EUR. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 17. November 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. April 2006 den Antrag des Klägers auf Gewährung von Kinderzuschlag ab, da der Kläger das 65. Lebensjahr bereits vollendet. habe und Altersrente beziehe und damit nicht berechtigt sei, Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) zu beziehen. Da somit keine Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II vorliege, könne diese folglich auch nicht durch den Kinderzuschlag vermieden werden.
Hiergegen. richtet sich der Kläger mit seiner am 17. Mai 2006 vor dem Sozialgericht in Kiel erhobenen Klage, zu deren Begründung er zum einen vorträgt, dass die in § 6 Abs. 1 Ziffer 3 BKGG vorausgesetzte Hilfebedürftigkeit dahin zu verste hen sei, dass der Begriff der Hilfebedürftigkeit aus § 9 SGB II übernommen werde. Danach sei der Kläger hilfebedürftig, Im Übrigen würde eine Formulierung, nach. der ein. Rentner als Vater von minderjährigen Kindern grundsätzlich von der Gewährung von Kinderzuschlag ausgenommen sei, der Diskriminierungsrichtlinie der Europäischen Union widersprechen. Denn der Kläger würde dann aufgrund seines Alters gegenüber anderen diskriminiert werden.
Mit Beschluss vom 15. März 2007 hat das Sozialgericht den gleichzeitig gestellten Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt, weil die Klage keine Aussicht auf Erfolg biete. Das Sozialgericht hat auf die gesetzlichen Bestimmungen des § 6a Abs. 1 Ziffer 3 BKGG in Verbindung mit § 9 SGB II verwiesen, woraus sich ergebe, dass der Kinderzuschlag nicht an Personen gezahlt werden könne, die nicht hilfebedürftig im Sinne des § 9 SGB II werden könnten. Außerdem enthalte Abs. 4 SGB II die Regelung, dass Leistungen nach dem SGB II nicht erhalte, wer Rente wegen Alters beziehe. Diese Rechtslage verstoße auch nicht gegen höherrangiges Recht. Denn es liege weder ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) noch gegen das europarechtliche Verbot der Diskriminierung wegen Alter vor. Im Anschluss an die Entscheidung des Sozialgerichts Aachen vom 30. September 2005 - S 8 KG 1/05 - hat das Sozialgericht weiter ausgeführt, dass der Kinderzuschlag nicht nur finanzielle Belastungen aufgrund der Kindererziehung ausgleichen solle, sondern auch einen Erwerbsanreiz setzen solle.
Hiergegen richtet sich die am 11. April 2007 erhobene Beschwerde des Klägers, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat. Zur Begründung trägt der Kläger im Wesentlichen vor, dass nach seiner Auffassung der europarechtlichen Richtlinie zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung von. Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, in der genau festgelegt sei, wann ein. Diskriminierungsverbot gerechtfertigt sein könne, vom. bundesdeutschen Gesetzgeber in bundeseinheitliches Recht nicht rechtmäßig umgesetzt worden sei. Denn das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), in dem die europäische Richtlinie umgesetzt worden sei, habe entgegen der Richtlinie nicht festgelegt, wann eine zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters möglich sei.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts sind die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe gegeben.
Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten hei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Dies schließt es nicht aus, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen,dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung selbst in das summarische Prozesskostenhilfeverfahren zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (vgl. BVerfGE 81, 347 Seite 357).
Zwar muss Prozesskostenhilfe nicht immer schon dann gewährt werden, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage noch nicht höchstrichterlich geklärt ist. Die Ablehnung der Gewährung kann ungeachtet des Fehlens einschlägiger höchstrichterlicher Rechtsprechung gerechtfertigt sein, wenn die Rechtsfrage angesichts der gesetzlichen Regelung oder im Hinblick auf von bereits vorliegender Rechtsprechung bereitgestellte Auslegungshilfen ohne Schwierigkeiten verantwortet werden kann. Ist dies dagegen nicht der Fall und steht eine höchstrichterliche Klärung noch aus, so läuft es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, dem Unbemittelten wegen fehlender Erfolgsaussicht seines Begehrens Prozesskostenhilfe vorzuenthalen. Denn hierdurch würde der unbemittelten Partei im Gegensatz zu der Bemittelten die Möglichkeit genommen, ihren Rechtsstandpunkt im Hauptsacheverfahren darzustellen und von dort aus in die höhere Instanz zu gelangen (vgl. Entscheidung des BVerfG vom 14. Juni 2006 - 2 BvR 626/06, 2 BvR 656/06 - m.w.N.- zitiert nach juris),
Gemessen an diesen Grundsätzen ist dem Kläger Prozesskostenhilfe zu gewähren. Die entscheidungserhebliche Frage, ob Altersrentner von der Gewährung von Kindergeldzuschlag nach § 6a BKGG ausgeschlossen sind, ist vorliegend höchstrichterlich. noch nicht geklärt. Nach den Ermittlungen in juris liegen zwei erstinstanzliche Entscheidungen vor, nach denen Rentner keinen. Anspruch auf Kinderzuschlag nach § 6a BKGG haben und nach denen der Ausschluss von Rentnern aus dem Anwendungsbereich der genannten Norm auch nicht gegen Verfassungsrecht verstößt (SG Aachen vom 30. September 2005 S 8 (4) KG 1/05; SG Koblenz vom 18. Mai 2006 - S 11 KG 14/03). Eine zweitinstanzliche Entscheidung liegt ebenso wenig vor, wie eine des Bundessozialgerichts. Nach Auffassung des Senats ist die Rechtsfrage auch angesichts der gesetzlichen Regelung nicht ohne Schwierigkeiten, d.h. nicht klar und eindeutig zu beantworten, da im Rah men einer möglichen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes auch zu überprüfen ist, inwieweit die gesetzliche Grundlage des 5 6a BKGG gegen europäisches Recht (hier Art. 1, 6 der Richtlinie 2000 aus 78/EG) insofern verstößt, als der in der Gesetzesbegründung angegebene Grund des Erwerbsanreizes nicht von der Richtlinie gedeckt sein könnte.
Da die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers im Übrigen erfüllt sind, ist ihm antragsgemäß Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Gebhardt zu. gewähren.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Dr. Stoll Brandt Baumann
Mittwoch, 18. Juli 2007
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